Fabienne
Fabienne hat nie das Bedürfnis nach einer Mutterrolle verspürt. Sie hat sich jedoch nie bewusst darüber Gedanken gemacht sondern eher angenommen, dass dieses Bedürfnis dann irgendwann kommen wird.
Im Jahr als sie 32 war hat sich ihre Sicht verändert, denn viele ihrer engen Freunden wurden dann Eltern und somit haben sich die Lebenswelten von Fabienne und ihren Freunden entfremdet. Für Fabiennes Partner stand das Thema weniger im Vordergrund als für sie, er war aber gegenüber dem Thema Kinder klar positiver eingestellt. In der Zeit zwischen 32 und 36 hat sie einen enormen Druck verspürt, nun doch auch Kinder haben zu müssen und dass ansonsten etwas mit ihr nicht stimme.
Fabienne hat gemerkt, dass der Druck weniger vom Umfeld, sondern mehr von ihr selbst und von verborgenen Wertvorstellungen kam. Als ihr der Druck zu gross wurde, hat sie eine Therapie zur Thematik der Kinderfrage begonnen, was ihr sehr geholfen hat zu ihren Wertvorstellungen zurückzufinden. Klarheit betreffend der Kinderfrage hat sie seit gut einem Jahr und kann nun zu ihrer Entscheidung stehen und diese auch offen kommunizieren.
Fabienne hatte auch, wie sie mir erzählte, nie einen expliziten Kinderwunsch. Aspekte wie Schwangerschaft und Geburt haben sie schon immer abgeschreckt. Sie verspürte auch nie das Bedürfnis babysitten zu wollen oder hatte Freude Neugeborene auf dem Arm zu halten.
Der Hauptgrund, weshalb sich Fabienne für ein Leben ohne Kinder entschieden hat, ist vor allem, dass Mutter sein allem widerspricht, was sie gerne macht und gut kann. Was ihr wichtig ist und ihr Freude macht wäre durch eigene Kinder massiv eingeschränkt. Die Lebensqualität würde für sie deutlich sinken. Aus ihrem Umfeld hört sie oft das Argument, dass sie nicht wisse, was sie gewinnen würde und das Mutterglück das Schönste überhaupt sei. Die Realität, die sie erlebt, sehe anders aus. Viele ihrer Freundinnen sind überfordert und unglücklich. Sie kann sich gut vorstellen, dass es schön sein kann im höheren Alter erwachsene Kinder zu haben. Sie ist jedoch nicht bereit dafür 10-20 Jahre ihres Lebens zu „opfern“ und ein Leben zu leben, dass ihr nicht entspricht.
Dass sie die Entscheidung jemals bereuen wird, denkt sie nicht und falls doch ist die Quintessenz für sie, dass sie lieber eine Entscheidung bereut die nur sie betrifft, als eine Entscheidung zu bereuen, die neben ihr hauptsächlich ihr Kind betreffen würde.
Das Thema Kinder war bei Fabienne und Ihrem Umfeld während drei Jahren das dominierendste Thema, insbesondere auch, weil sich die Lebensrealität ihrer Freunde von ihrer entfernt hat. In dieser Zeit fühlte sie sich sehr einsam. Da es für sie während drei Jahren das alles dominierende Thema war, sprach sie mit sehr vielen Menschen in ihrem Umfeld darüber und war immer sehr transparent, wo im Prozess sie stand. Vereinzelt hörte sie auch Sätze wie: «jetzt hängst du immer noch in Clubs rum und reist um die Welt? Du bist ja nicht mehr zwanzig. Denkst du nicht, dass irgendwann im Leben auch noch etwas Anderes kommen muss?»
Auch in ihrer Familie, besonders bei Fabiennes Mutter, war es ein grosses Diskussionsthema und auch dort spürte sie subtilen Druck. Vor drei Jahren hatten sie ein Streitgespräch wo Fabienne ihr klar gesagt hat, dass sie von ihr keine Enkelkinder zu erwarten habe und dass sie selber dafür verantwortlich sei, sich ein Netzwerk mit Kindern aufzubauen wenn ihr dies wichtig ist. Seither hat Fabienne's Mutter ihre Entscheidung respektiert und sich ein Netzwerk im Dorf aufgebaut wo sie nun bei zwei Familien Kinder hütet.
Die Antwort auf die Frage weshalb viele Menschen auf die Entscheidung keine Kinder zu wollen mit Erstaunen reagieren ist für Fabienne klar. Es ist kulturell tief verankert. Aus ihrer Sicht hat dies auch mit konservativen Rollenbildern und Emanzipation zu tun. Gerade in der Schweiz haben wir im europäischen Vergleich noch einen grossen Nachholbedarf. Viele Frauen sehen ihren Lebenssinn ausschliesslich im Muttersein, weil sie für sich keine Alternative sehen und auch gar keinen anderen Lebensentwurf in Erwägung ziehen. Gleichzeitig herrscht auch die Meinung vor, dass man im Alter einsam und verbittert sei ohne eigene Familie.
Auch die Tatsache, dass Frauen auf die Kinderfrage anders angesprochen werden als Männer erlebt Fabienne an konkreten Beispielen. Ihr Partner wird kaum je auf Kinder angesprochen, sie hingegen häufig. Ihr wurde auch mehrfach gesagt, dass sie halt die «typische Karrierefrau» sei. Das wurde ihrem Partner noch nie gesagt, und das stört sie.
Gleichzeitig findet sie es unangebracht, wie Frauen als schlechte Mütter betitelt werden, wenn sie 80% oder mehr arbeiten, ein Mann aber ein Super-Papi ist, wenn er schon nur einen Vatertag pro Woche hat. Dies beobachtet sie auch in ihrem Freundeskreis (alle gut gebildet, alle eher politisch links): alle ihre Freundinnen arbeiten deutlich weniger als ihre Partner und nehmen dies als selbstverständlich hin.
Bleibt eine Frau nach der Geburt ganz zu Hause oder arbeitet in einem sehr kleinen Pensum, ist sie ebenfalls wieder gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt.
Diese ständige öffentliche Bewertung der Frauenrolle findet Fabienne traurig und diskriminierend. Jede Person sollte ihr Leben so gestalten können, wie es für sie stimmig ist.